
21. Dezember 2021: Alltagsschönheit III: Bebrüder Grimm in Muhanga
„Aschenputtel,“ sprach sie, „bist voll Staub und Schmutz, und willst zur Hochzeit? Du hast keine Kleider und Schuhe, und willst tanzen!“ Als es aber mit Bitten anhielt, sprach sie endlich: „Da habe ich dir eine Schüssel Linsen in die Asche geschüttet, wenn du die Linsen in zwei Stunden wieder ausgelesen hast, so sollst du mitgehen.“ Das Mädchen ging durch die Hintertür nach dem Garten und rief: „Ihr zahmen Täubchen, ihr Turteltäubchen, all ihr Vöglein unter dem Himmel, kommt und helft mir lesen,
Die guten ins Töpfchen,
Die schlechten ins Kröpfchen.“
Montagabend in Muhanga. Wir spielen im Hof Ball. Mit vier Bällen. Mit 2 Erwachsenen und 5 Kindern zwischen eineinhalb und fast sieben Jahren. Im November und Dezember werden wir jeden Tag einmal von einem mächtigen Regenschauer mit Windspiel überrascht. So auch heute Abend. Wir rennen alle unters Vordach. Stellen uns unter. Die Bälle schwimmen bald draußen in den Regenpfützen, so stark ist das Wasser vom Himmel. Meine Nachbarin, eine außerordentliche Schönheit fragt mich, ob ich Bohnen mag. Ich antworte, dass ich die afrikanischen Bohnen hier liebe. Sie fährt fort: Meine Mama will dir von unseren Bohnen welche schenken. Ob das ok sei? Ich sage mit leuchtenden Augen: Yes, yes, sure. That would be lovely and lecker.“
Ich frage sie, ob ich kurz mit rüber kommen solle, die Bohnen abholen. Aber wir verstehen uns nicht und als der Regen nachlässt flitzt sie durchs Tor rüber. Nach 5 weiteren Minuten Ballspiel auf der Terrasse, kommt sie zurück mit sage und schreibe vier Kilo bunter Bohnen in einer braunen großen Papiertüte. 4 Kilo Alltagsschönheit.
Am nächsten Morgen beginne ich mit dem Frühstück der Kinder Bohnen zu sortieren. Und mein Sohn beginnt aus dem Nichts Märchen zu zitieren. Und zum ersten Mal erkenne ich einen Teil meines Alltags in einer Märchenzeile wieder.
Wie ging der Spruch nochmal: „Die guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen.“ Welches Märchen war das nochmal? Aschenputtel Die Kinder wundern sich über mein halblautes Gemurmel.
Die bunten Bohnen werden sortiert. Dauert.Und gewaschen. Dauert nur 1 Minute. Dann gekocht. In einem sehr großen Topf. Ich koche für 5 Erwachsene und 2 Kinder viele bunte Bohnen in einem großen Topf. Sie werden zwei bis 3 Stunden auf dem Gasherd gekocht. Das Ergebnis: ein einheitlich dunkelrot bis braunes Bohnengemenge in einem sehr großen Edelstahltopf. Sie haben leider während des Kochens ihre Farben abgegeben. Da waren weiße mit Schwarzen Punkten. Da waren dunkelbraune. Da waren hell rote, das waren rosane, und dunkelrote. Da waren hellbraune und beige Bohnen. Jetzt sieht es so aus. Und schmeckt fantastisch.
Von einem ruandischen Mann habe ich gezeigt bekommen, wie er seine Bohnen kocht und verfeinert:
Viel Zwiebel und grüne Paprika mit ordentlich Öl in der Pfanne fast schon frittieren. Dann kommen Gewürze dazu. Auch einige frische Tomaten. Ingwer. Getrockneter Koriander. Frische Minze. Knoblauch.
Gebrüder Grimm in Muhanga entdeckt.
Bohnen schälen und Bohnen sortieren. Diese alten Aufgaben, die meine Oma Ruth noch kennt, die ich in Deutschland noch nie gemacht hatte, haben einen meditativen Charakter. Die Kinder lieben es, wie Amelie in Paris, ihre Hände in einen Topf voller getrockneter Bohnen zu stecken und zu fühlen. Zu mischen. Primärerfahrung. So wie mit Sand und Dreck matschen. Ich genieße, dass es ruhiger, stiller und dank der Bohnen sensitiver wird, dass mir deutsche Literatur in Muhanga begegnet und ich ohne Zahlung mit der Erdung der Bohnen beschenkt werde.

YUMMI😊Eine Geschichte so ganz nach meinem Geschmack- ich liebe Bohnen und ich liebe Märchen…