Freche Moskitos und Würde, Virunga und Murakose

Freche Moskitos und Würde, Virunga und Murakose

24. Januar 2021 1 Von Eva

Einige Eindrücke aus unserer Rwanda-Kennenlern-Zeit im September 2020

Von Würde und Aufrichtung, Bananen und Bohnen, Kontrasten und Moskitonetzen. Diese Würde beschäftigt mich zwei Wochen lang.
Und nun wirst du davon lesen, wenn du magst.

Wir sitzen in unserem schwarzen geliehenen Toyota, ein schon etwas älterer Herr mit einigen Macken, der die holprigen Straßen gut meistert.
Ich trage Maske, Jörg auch und wir können nicht anders als zu gucken.

Aufgerichtete Menschen. Soweit mein Auge reicht.
Und Hügel. Ganze Hügelketten. Soweit meine Augen blicken können.
Teepflanzen mit glänzenden Blättern zur rechten, auf verschiedenen Ebenen, ganz grün, ganz frisch, ganz dicht aneinander gedrängt.
Und vielleicht siebenundfünfzig Hügel weiter stehen Bananenstauden, groß und elegant gewachsen neben Kaffeepflanzen mit glänzenden Blättern und rötlichen Kaffeekirschen. Dazwischen silbern-bläulich leuchtende Eukalyptuspflanzen. Beeindruckend. Wortlos.

Mit staunenden Augen klettern wir in deutschen Sportschuhen und Sandalen unserem Guide, einem neunzehnjährigen Studenten aus dem Dorf im äußersten Norden Rwandas hinterher. Kinder zwar in Outdoor-Sandalen, stolpern und fallen über dicke Wurzeln. Und ich staune, wie gut es sich mit Maxirock wandern und bewegen lässt.
Der Student, der uns durch die Gegend führt, heißt Coffee und kennt sich gut aus. Er erzählt. Er spricht gut English. Wir halten nach zwei Stunden bergauf laufen an (langsames Kinder und Pausentempo) und essen unsere Avocadosandwiches und trinken unsere Limos. Aussicht auf den Kongo. Grenzgebiet. Wunderschön. Lake Kiwu auf der einen, Kongos Grenzstadt Goma auf der anderen Seite. Und dann geht es weiter, eher steil auf rot-brauner Erde durch Bananenstauden bewachsene Hänge zurück Richtung Unterkunft.

14 Tage zu viert unter Moskitonetzen, mit Virunga und Konfrontation, weniger Plastik im Leben und Murakose. So oder so ähnlich würde ich unsere zwei Wochen Rwanda-Kennenlernen wohl betiteln.

Es gibt viele Moskitos. Viele viele. Aber nur einige mit Malaria. Und diese auch eher in der Hauptstadt oder den größeren Städten. Genau die will man lieber nicht treffen. Auch die anderen, einfach nervenden Moskitos mögen wir nicht. Deswegen machen wir es uns jeden Abend unter 2 Moskitonetzen gemütlich. Und das Schöne ist, es ist wirklich sehr sehr gemütlich.
Jeder Erwachsene bringt ein Kind ins Bett. Unter dem Moskito-Netz schlafen und sich vor den kleinen frechen Fliegen und vielleicht auch frechen Gedanken bewahrt wissen. Und dabei sogar Gemütlichkeit erleben. Die seitlichen Enden der Netze geschickt unter die Matratze klemmen und schon hat man die Chance auf eine ruhige Nacht. (Wenn das Netz nicht zu viele zu große Löcher an zu unpassenden Stellen hat. Immer bisschen Glück dabei. Oder Pech. Bei den Netzen.)

Sie sind da, die kleinen frechen Fliegen und auch die frechen Gedanken – aber wenig störend, abends vielleicht etwas nervig laut, aber mit dem passenden Spray, einem Glas Wein oder einem warmen Tee unter atemberaubendem Sternenhimmel sind sie nicht mehr der Rede wert.

In Kigali treffe ich einen freundlichen Mann, der mir den Weg zum nächsten (und fast einzigen) grösseren Supermarkt in Kigali zeigt. Wir unterhalten uns. Über Reisen und Urlaub, seine Arbeit und Lachen. Ich erzähle ihm eine Geschichte und er muss laut und tief lachen und sagt: «you know, I like to laugh, because laughing is the Foood for the soul.»

Wohl wahr, sie lebt besser und gesünder, meine Seele, wenn ich mehr lache. Mit jedem Lachen wird sie ernährt, bleibt lebendig und frisch. Und vor allem stark.
Diese Begegnung wurde mir geschenkt. Dieser Mann, der mich ansteckend und freundlich auslacht und erinnert, dass ich mich selbst eigentlich nicht mehr so wichtig nehmen und vor allem einfach leichter nehmen wollte.

Das hatte ich mir doch schon öfters mal vorgenommen, oder??

Was war da alles drin? In diesen zwei Wochen Kennenlernzeit mit einem kleinen Land. So groß wie die Schweiz – oder kleiner?? Etwas kleiner als Baden-Württemberg.

Die liebevolle Erinnerung mehr zu Lachen. Auf dass es meiner Seele weiterhin gut gehe.

Da waren laute Abenteuer auf der Affeninsel. Und Flugbananen für die Affen auf der Affeninsel. Wer dazu mehr wissen will, muss am besten die Kinder fragen.
Da waren Kontraste.
So viele.
Hell und dunkel. Ich schreibe nicht von Hautfarben. Nein.
Drastische Tageszeitenwechsel. Keine so langen Dämmerungszustände, wie in Deutschland und europäischen Breitenkreisen. Eher zackige Wechsel, von hell gleich Tag zu punkt 18:00Uhr dunkel gleich Nacht. Äquatornah. Dieses Rwanda.

Und immer wieder aufs Neue überrascht von dieser Geschwindigkeit und der Langsamkeit.
Und den Kontrasten.
Unglaubliche, stark ausgeprägte Langsamkeit –
eine Art, sich Zeit zu lassen
z.B. beim Kochen
oder beim Essen
oder beim Laufen

und dann
heftige Hektik
eiligste Eile
Durcheinander und Tempo
ohne dass ich den Sinn dahinter verstehe
die Ordnung, der hier gefolgt wird

die es zweifelsohne gibt
zum Beispiel beim Taxi-, Motorrad- oder Rollerfahren
Reichtum
ersichtlich, glänzend strahlende Häuser, poliert und blank geputzt
Schmuck und prächtige Farben

Reichtum
Leben voller Begegnung und Zeit
ja, so eine Art Zeitreichtum
Zeitfülle
»als hätten wir hier wirklich Zeit«
dachte ich mir ab und zu

und Armut –
oder beurteile ich das, was ich sehe nur als arm, weil ich anders aufgewachsen bin?
Ist mein Bild von arm vielleicht eher verkümmert – viel mehr mein Bild als die Kinder, die zum Beispiel einfach vor ihren Häusern spielen, malen, reden, lachen, streiten …?

Bohnen und Bananen, gekocht und roh,
zu essen
in allen Formen
knall-grün und verkocht
toll gewürzt und ohne alles
die ganze Bandbreite an Bohnen und Bananen, die
ich mir in Deutschland nicht so vorstellen konnte.

Baumtomaten und Omelettes für die Kinder
jeden Tag – denn Ei geht irgendwie immer.
10 Muffins, ein Brot und 6 Brötchen für 2, 10€ umgerechnet
Honig in Bäumen
in Bananenblätterrollen in den Baum gehängt und selbst geimkert (nicht von uns)
Asphaltstraßen und Helmpflicht – grüne Helme für Fahrer und Mitfahrer.
Maskenexpertise bis ins entlegenste Dorf und off-Road Straßen mit Schlaglöchern von mind. 60cm Tiefe

Homemade Banana Bier, Virunga Gold oder lieber Skol? Primus Gold? Die Bier-Werbung in bunten großen Lettern an jeder dritten Hauswand. Ohne Bier geht hier nix. Scheinbar. Allgegenwart.

Kiloweise Bananen und Wasserkanister auf „unkaputtbaren“ Fahrrädern. Und Jungs oder Männer, die auf diesen fahren oder sie die 101 Hügel hochschieben. Wenn sie mal bergab rollen sind die Männer auf den Rädern mit 80 -120 Bananen echt schnell!
Egal ob Frauen in schicksten Kleidern, geschneiderten musterreichen Röcken und Blusen, oder Jungs die schwere alte Räder die Straße hoch schieben – alle, fast alle bewegten sich kerzengerade. Hatten diese Haltung. Vom mittleren Rücken bis in die Kopfkrone. Gerade. Ausgerichtet und aufgerichtet. Als wären sie aufgerichtet worden. Gradlinig. So dass ich mir nach drei Tagen dachte, „entweder ich werde jetzt auch so gerade – oder ich bin eben krumm“.
Egal ob Körbe voller Obst oder Wasser auf dem Kopf oder von Armut und Krankheit gezeichnet, ob jung oder sehr alt. Aufgerichtet. Richtung Himmel. Starkes Rückgrat, offenes Herz. Ich war beeindruckt. Und zwar schwer beeindruckt. Und beschloss. Auch gerade zu werden. Und so durfte ich die restlichen zehn Tage, einfach sehr gerade raus, sehr gradlinig, vielen unterschiedlichen Menschen begegnen.

Als Europäer oder Europäerin in einem afrikanischen Land, in unserem Fall Rwanda, bedeutet immer maximale Konfrontation. Sagt mein Mann in den ersten 48 Stunden unserer Zeit mehrmals. Und wie wahr wird diese Aussage!! Für uns und für die Kinder.

Wenn ich mich drauf einlasse, draufschaue und nach Innen schaue
bemerke ich meinen Reichtum und meine Armut
meinen starken Sinn für Individualismus und mein Weiß-sein. Mein Anderssein. Und mein Ähnlichsein. Von „Familie Mensch“ reden wir oft.
Vor allem mit den Kindern. Denn sie fragen und bemerken und noch mehr Fragen und wir bemerken: Wir gehören alle zusammen. Alle. Alle zu Familie Mensch. In aller Unterschiedlichkeit und Ähnlichkeit.
Ich entdecke mich als Mutter, mit Kindern und betrachte meine Karriere. Wer darf ich sein und wie möchte ich leben?
Nur weil das Leben dort-
mir leise Fragen stellt. Wenn ich genau hinhöre, kann ich sie hören.
Und mich etwas nerven lassen. Mich „anpieksen“ lassen von diesen frechen Gedanken – ohne Angst vor Malaria ??!!

Das wärs.

  • Murakose heißt = Danke, umgangssprachlich
  • Virunga, eine tolle pale Ale Biersorte aus Rwanda, in schöner Flasche, versteht sich