Unser großer Sommer *

Unser großer Sommer *

4. August 2021 2 Von Eva


Wenn „die Kinder von Bullerbü“ neben Ottolenghis „Simple“ in der Packpappkiste ankommen und ich abends zum Abschalten „der große Sommer“ von Ewald Arenz lese, wird mir spätestens klar, dass wir in unserer dichtesten Zeit angekommen sind. Bullerbü neben Ottolenghi. Puzzle für Zweijährige – aussortiert. Dicht und Eng, unsere Wohnung. Wir sind mitten drin,
alle Teil der großen Pack-Downsize-Sortierung. Wir packen unser deutsches Leben in Kisten. Versuchen es. Genaugenommen, in diese hier. (Siehe oben).

Das Wetter diesen großen Sommers spiegelt unsere innere Unruhe wider. Knalle heiß und Sonnenschein, Regen wie aus Kübeln (siehe Stuttgart und Tübingen, siehe NRW), direktes Aufeinanderfolgen Hitze und Schütt und dann eine drückende schwere Schwüle, die im Kessel liegt und sich nicht wegheben lässt. Ist alles dabei. Auch in unseren Gefühls- Gedankenlagen.
Dicht. Heiß. Unser Sommer.


Eine Woche in Bonn mit „Kompelxität und Diversität im internationalen Kontext“ und „Sicherheitstraining“ und Kinderprogramm haben wir letzte Woche überlebt. 5 Active Shooter und Entführungssimulationen, Checkpoint und Taschendiebszenarios erfahrungsreifer kommen wir nach Stuttgart zurück. Uns erwartet eine letzte schöne Kindergarten Woche für Jakob und Lilly. Dann kommt Jakob am Sonntag ins fliegende Klassenzimmer. Deutsche Fernschule startet noch in Baden Württemberg.
Hebt ab, landet in Amsterdam und Kigali zwischen. Die Welt – unser Klassenzimmer (so unser Motto). Zwei Kilo Sachunterricht, Rechnen und Deutsch bleiben draußen, die restlichen sage und schreibe 19kg Schulpapier und Material für das erste Schulquartal (!!!!) kommen – in die Alukiste. Hier ist sie. Was wiegt wenig und doch schwer in unserem Alltag?

fliegendes Klassenzimmer, erste Schulstunde


Drei Aluskisten. 4 Regentonnen. Echte Fässer begleiten uns. Airfreight. Luftfracht.

Die Luftfracht fliegt vor oder mit uns oder nach uns, wenn’s schlecht läuft. Wir am 18.8. von Stuttgart, über Amsterdam – schonmal ein OneWay Ticket für 4 Leute gekauft? Das ist ein spannendes Gefühl.

Silvia Rancilio kommt auch in besagte Kiste. Wie macht man so was? Sein deutsches Leben, mitnehmen, einpacken – was ist leichtes Gepäck und doch bedeutend? Wie Musik und Abläufe und Rituale , unsere Bildung und Erfahrung- was brauchen wir nicht, was reicht – was nicht? Zu kurz zu viel genau richtig zu schwer genau das oder mehr?

Was können wir getrost lassen – um die Hände frei zu haben – offen – für viele Kulturerfahrungen, für internationales Denken und um neue Menschen Tiere Nahrungsmittel anzunehmen und zu umarmen ?

Wie packt Simone oder Venantie in Musanze (Ruanda, 6000 km Luftlinie von Stuttgart), wenn der Vulkan ausbricht und sie nur kurz loskann, Kinder einpacken und losrennen, weil Lava. Ja, es gab die letzten Monate Kongolesische Umweltflüchtlinge in Nordwest Ruanda. Ja, wir ziehen in ein Gebiet mit aktiven Vulkanen, Gorillas und Erdbebenwahrscheinlichkeit. Mit Covid und Delta (Die demokratische Republik Kongo ist gerade im Stile von Indien betroffen…)
Was packt ein deutsches Paar, 300 km westlich, wenn die Wassermaßen kommen. Ohne Vorwarnung.
Mit zu viel Geschwindigkeit und Wucht? Wie packe ich mein Leben? Was nehme ich mit? Was packe ich ein? Was lass ich sein?


Unsere Regenfässer sind angekommen – die bepackt werden mit allerlei Notwenigkeiten.


Wir packen 13 kg Kinderbücher ein, Lego und Playmo wiegen erstaunlich wenig – wunderbar – rein damit.
Und Worte spenden mir Licht – ich fühl mich Zuhause und geborgen, wenn auch wo ganz anders? Was ist dein Licht – dein Zuhause?
Die Kinder bauen sich Höhlen und Häuser aus Lego (dabei: 7kg) und finden Zuhause im (manchmal gemeinsamen) Spiel (dabei: 9kg Playmobil).
Meine WG (Mutter Vater und 2 Kinder – kommt mit, ca. 170kg)
Unsere Bildung – wiegt nichts und doch so wertvoll, gewichtig – dabei – kommt mit, ein Kopf voller Global Health und Malaria Treatment, Aids pep, Agenda 2030, ein Hirn voller sustainable development goals, voller Sorgen und „Don´t worry be happy“ lines – wiegt nichts und doch so gehaltvoll.
Der Schminkkoffer – hart umstritten, auch der kommt mit. Mit Pinsel und vertrauter Palette. Um ja, um heimisch auszusehen, sich 3% heimischer zufühlen, auch wenn alles andere erstmal unheimisch und auch unheimelig zu sein scheint.

Das, was viel bedeutet
wiegt nix

oder wenig
ein Segen
ein Wort
ein Bild
ein Symbol
ein Zitat
ein Song
eine Lyrikline


Vorfreupunkte und „Little loses“ haben wir auch dabei. Auch die wiegen nichts – rein physisch gesprochen und doch haben sie unglaublichen Einfluss auf unsere Abende, wie wir oder ob wir überhaupt gut einschlafen können – zur Zeit.
Wir freuen uns auf einen Ortswechsel und viele neue Gesichter von Familie Mensch. Auf Maracujas über Maracujas, Regenzeiten und Gummistiefel in 5 Größen für die kommenden 10 Regenzeiten sind auch schon in der Kiste (6 kg). Wir freuen uns auf Exotic und Normalität, Teeplantagen und echte Kaffeekirschen, Eukalyptus und den Sternenhimmel, auf viel Familienzeit – und fürchten sie gleichzeitig – auf Kigali, seine Buntheit und Kreativität, den Blick nach vorne, wir freuen uns auf schöne Menschen, eine Landschaft, die leuchtet und so so so anders aussieht, die erscheint – wie ein Sommerfilter. Auf Kontraste freuen wir uns –
und fürchten sie zugleich.

Glück ist Jetzt stand eine Zeitlang auf Einkaufspapiertüten des Kaufhaus Mitte
Glück ist Jetzt und unser großer Sommer ist jetzt. Mit allem Leben und allem Leid. In Deutschland, in Europa. In Indien, in den USA, in Ruanda, Kongo und Burundi, in Laos und Köln.

Was nimmst du mit? Aus diesem großem Sommer? In deinen Sommer?
Sommersouvenir? Dein Sommer – vielleicht mit einem etwas kleineren Ortswechsel, einer kleineren klimatischen Veränderung? Einer kleineren körperlichen Veränderung? Wie sieht dein großer Sommer aus? Jetzt und hier.

Und was packst du ein – was ist in deiner Alukiste, deiner Sommertasche, welcher Song begleitet dich?
Bedeutsam und doch leicht zugleich?

*In Anlehnung an den Titel „Der große Sommer“ von Ewald Arenz.