G wie guseka

G wie guseka

26. Oktober 2022 0 Von Eva

Guseka. Das Verb für Lachen. Und Auslachen.

[Hier ist Raum für eine Geschichte aus Afrika oder ein Zitat, das irgendwie mit Lachen, Tanzen oder Fröhlich sein zu tun hat, denn davon kennen wir viele].*

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Vielleicht kennst du sie auch, diese lebensfrohen Narrationen über „die afrikanische Bevölkerung“, die scheinbar so fröhlich dankbar und lächelnd auf den Flügeln der Leichtigkeit an den griesgrämig-maulenden Europäern vorbei fliegen? Diese Klischees und Vorurteile, durchaus teilweise sehr schönen Geschichten haben mich geprägt. Und ich bin erstaunt, wie wenig hier gelacht wird. Also so von Herzen die Gefühle zeigen. Ist nicht. Nicht in der Öffentlichkeit. Vielleicht im Garten oder Haus. Es wird viel über Menschen gelacht – nicht direkt fies ausgelacht – oder vielleicht schon?! Alles ist erlebbar.

Meine Nachbarn sollen bitte nicht sehen, was ich einkaufe (deswegen wird die kleinste Kleinigkeit in einen Envelope gepackt, blickdicht). So lernte ich vor 12 Monaten, als ich mit zwei Plastikkannen Milch holen war, dass ich selbst die 4 Liter Frischmilch in Plastikkannen in ebensolchen Envelopes zu verstecken habe. Auch das Innere wird ähnlich gehalten. Blickdicht. Oft. Unterhaltungen geschehen mit subtilsten Gesten. Viel mehr ist nicht nötig. Nicht zu viel Zeigen. Das Masketragen war für unsere Sprachfortschritte nicht förderlich, aber erschien vielen Ruandern nicht allzu unangenehm. Teil dieser Kultur ist „Even-Temperedness“ oder eben Well-Temperedness. Good-Tempered – man lässt sich nicht leicht verärgern. Und wenn doch mal Verletzung, Wut oder Trauer da sind, werden sie gut eingepackt. Gut und wohltemperiert im Geist, Gemüt und Körper ist eine erstrebenswerte Tugend hier.

Kleiner Einschub aus der Musiktheorie: Mit dem Begriff wohltemperiert gelangen wir gleich zu Bachs berühmten „Wohltemperiertem Klavier“ – einer Stimmung und Harmonie und Komposition von Klängen von 108 min Länge – von Pianisten als Meditation gespielt. Stimmig, ausgewogen und wohl. Always in tune. Pure. Oberflächig. Kein kantiger Jazz. Keine Disharmonien.

Ich beobachte viele RuanderInnen, die diese stimmige wohltuende Ausgeglichenheit, dieses wohle Temperament, das weder laut noch zu schnell ist, weder gewaltsam noch zynisch erscheint, gut beherrschen. Flächendeckend erwartet. Es wird geübt, nicht laut zu reden. Leise vieldeutende Blicke zu werfen und diese aufzufangen. Gefühle werden erlebt, aber nicht laut oder öffentlich verarbeitet. Genauso wenig wie die Milch oder Bananen, die wirklich jede und jeder isst und trinkt, nicht öffentlich gezeigt werden. Oder in den Rucksack für später einmal – ‚verpackt‘. Die Positiven wie die Negativen und alles dazwischen. Wohl temperiert. Nicht zu herzlich, nicht zu offen, nicht zu frei, eher beherrscht – vielleicht auf später „verschoben“. Oder auch in den Rahmen der eigenen vier Wände verlegt. Blickdicht verpackt.
Eingetütet.


Tapsig und unbeholfen versuche ich mir diese „eingetüteten Gefühlswelten“ zu erklären. Sicherheit und Stabilität sind die obersten Maximen der Gesellschaft, damit Wachstum geschehen kann. „After 100 days in 1994 – Rwanda was dead.“ Es war tot. Der Glaube an das Gute, das Vertrauen in Menschen, in Nachbarn und Freunde – waren tot. So steht es u.a. im Jenoside* Memorial Museum in Kigali. Dahingehend ist Ruanda 28 Jahre jung. Und lernt, wie jedes Land und wie jeder (junge) Mensch mit den ambivalenten Gefühlen, den großen inneren Zerrissenheiten des Lebens und des Landes umzugehen. Übt Vertrauen, im kleinsten aller engsten Freundeskreis. Ein Zitat eines Freundes, der diese Even-Temperedness sehr gut beherrscht und mich damit fast täglich verunsichert:

Wem kann ich vertrauen? „A friend, you can trust, maybe.“ Einem Freund kannst du vertrauen, vielleicht.
Vielleicht.


*Ich verwende hier bewusst den Begriff in Kinyaruanda.

Sogar meine Schuhe wurden an einem Ausflugswochenende eingetütet. : )