Eine Matte für mich allein
oder: Die Mattenfrage in Muhanga
Ich gehe mit zwei Plastik-Web-Teppichen, made in China, und 4 meiner Yogamatten jeden Freitag zum Jugendzentrum. Hier treffen sich jeden Morgen an die 37 Frauen. Junge Mädels und auch schon etwas ältere Jugendliche. Viele haben eigene Kinder. Durch ungewollte Schwangerschaften. Die meisten wohnen nicht in der Stadt, sondern kommen von den Dörfern aus den Tälern oder Hügeln rund um Muhanga. Wohnen in sehr einfachen Lehm- oder Betonhäusern. Sie schlafen mit ihren Geschwistern oder ihren eigenen Kindern in einem Zimmer. Manche in Betten, einige unter Moskitonetzen, viele auf Matratzen oder ähnlichem auf dem Boden.
Freitagsmorgens gibt es hier Sport. Aerobic mit Cyprien, er arbeitet im Büro und ist Aerobicanleiter. Nach 20 Minuten Hüpfen, Bein heben, Crosssteps and Armlifts bin ich meistens durchgeschwitzt und platt. Am Anfang kamen die Frauen, die hier 6 Monate Training zur Schneiderin machen, noch in Röcken. Das ist wenig praktisch für Sport, besonders Aerobic. Mittlerweile kommen sie alle in Hosen, Leggins oder sogar Sporthosen. Jeden Freitag. „Das haben wir ihnen jetzt beigebracht,“ sagt der leitende Sozialpädagoge des Zentrum in unserem ersten Gespräch.
Wir trainieren ab kurz nach acht morgens auf dem Basketballplatz. Hart und uneben sitzen und knien wir. Die ersten Yogastunden habe ich komplett im Stehen – viel Balance und Beinkräftigung gemacht, weil das Knien auf dem rau grauen Beton schier unmöglich schien. Bis die Frauen mir ihren Trick gezeigt haben. Seitdem gehen auch Kniestand und Rückbeugen wie „das Kamel“. Die Flip-Flops werden einfach unter die Kniescheiben gelegt – und schon haben wir sie, unsere provisorische Mini-Matte.
Wir üben im Yoga ausdauern, balancieren, wackeln, fallen, aufstehen, stolpern, drehen, weggucken, hingucken, kopfstehen, Kriegerin sein, fokussieren, wir üben Kind werden und Kind sein und Kind bleiben, wir üben frei fliegen auf einem Bein, wir üben sich unwohl fühlen und durchhalten, wir üben atmen, wir üben Standhaftigkeit und Geduld, wir üben kindness and flexibility in mind, body and soul, wir üben alles auf dem Mikrokosmos unserer Matte, wir üben hier innerhalb der 4 guten Begrenzungen unserer Matte, in den vier Wänden unseres Körpers –
um dann stärker und fokussierter in den Makrokosmos unseres Lebens treten und eher bestehen zu können. Wir üben auf dem kleinen Rechteck für das große runde Leben.
Virginia Woolf schrieb Anfang des letzten Jahrhunderts ein Manifest über und für Frauen, Kreativität und der Möglichkeit von Unabhängigkeit in Leben und Arbeit der Frau. Jede Frau braucht ihr eigenes Zimmer, ihren Raum um frei zu sein. Um kreativ zu wirken. Für Entfaltung und Zusammenfaltung. Und jede Frau braucht die Möglichkeit Geld zu verdienen. Einkommen zu generieren. Um Kunst zu schaffen. Um zu Schreiben. Um sich Weiterentwickeln zu können. Frei und unabhängig.
Eben hier in Muhanga empfinde ich Woolfs Literaturklassiker, den Ausruf „Jede Frau braucht ihr eigenes Zimmer“ als sehr dringlich und wichtig. Ich wünsche mir für jede Frau unseres Kurses ihre EIGENE Matte. Ihren eigenen Mikrokosmos. Ihren eigenen kleinen Freiraum.
Die Frauen drängeln sich auf den dünnen Plastik Webteppich, sie kuscheln sich aneinander. So entsteht kein Raum, kein freier Meter, um Arme auszustrecken oder die Körpervorderseite zu dehnen. Ein Sonnengruß A, eine guter Stretch, eine feine Öffnung der Front, des Rückens, der Flanken, ein sich Einsammeln und Wiederfinden – benötigt im Yoga diese 80 auf 190cm – oder sogar 1 auf 2m Platz. Diesen Raum, diese Zentimeter wagt sich bisher kaum eine der Frauen zu nehmen. Zu ungewohnt. Wahrscheinlich.
Wie sollen sie, Esperanza, Raina oder Josefine auch diese Europäerin verstehen, die vor ihnen steht, in Yogaleggings und Shirts, die in 3 Sprachen eher schlecht als recht versucht ihnen „ihre Weisheit“ zu erklären - den eigenen Raum nehmen, Platz einnehmen, Zeit für sich selbst und sogar das Innerste, die Seele- einen Raum und Zeit, die sie vielleicht noch nie hatten - noch nicht mal ihren Körper versteht sie als ihr eigenstes, geschweige denn Geschenk. Der Körper, über den sie selbst entscheiden dürfen? Ungewohnt. Keine Männer, keine (Schwieger-)Mütter, keine anderen BestimmerInnen, sondern sie allein? In viel Liebe und Gnade und Annahme? Das ist mehr als ungewohnt.
Wir machen die einbeinige Vorbeuge, ein Bein an der Oberschenkelinnenseite angewinkelt, mit einer schönen Vorbeuge über das andere ausgestreckte Bein. Und wir küssen, ja küssen, was wir erreichen. Knie, Schienbein, Oberschenkel. Die, die noch nicht so flexibel sind küssen ihre Hände – reichen den Kuss weiter an die angespannten Oberschenkel oder geflexten Füße. Küsschen, und danke Körper, dass du da bist und schon immer da warst. Danke Knie, Danke Hände, danke Füße, danke Oberschenkel. Danke und Küsschen. Ich nenne es, den niederschwelligen, internationalen Kisssing-Approach. Auch nach 5 Yoga-push-ups, oder auch nur drei, verteilen wir Küsschen auf unseren Bizeps undTrizeps (shoutout an Benji:D).
Und am Ende der wilden Aerobic-Yoga-Session, mit einer Fusion aus french-Hip Hop, ruandisch-kenyanischem Pop laut und lauter aus dicken knisternden Lautsprechern setzen wir uns. Allesamt. Meistens fast alle 40 Frauen auf die zwei kleinen Plastikteppiche. Icara neza. (Itscharra neesssza) Setze dich angenehm hin. In einen guten bequemen Sitz. Und wir atmen ein und aus. Und wir erkunden den Weg des Atems. Wir nehmen den Körper wahr. Wir schließen die Augen. Ein und aus.
Und jeden Freitag, gegen halb 10 sitzen wir in kleinem Frieden beisammen. Und die eine oder andere entspannt ihr Mundwinkel, die Stirn wird glatt und der Blick nach Innen wird weicher – die Weichheit sichtbar. Der Frieden klarer.
Ein Frieden da. Ein innerer Raum erlebbar.
Wenn die Sonne nicht zu sehr knallt – machen wir einen kleinen Austausch über die „Erfahrungen“, die Veränderungen, und wir üben das Wahrnehmen von Vorher – Nachher. 5-10% der Frauen beteiligen sich. Die anderen liegen und schlafen, schnacken oder sind einfach nur fertig, von ihrem Leben und jetzt auch noch „dem Sport“.
„Wir können nicht vergessen, dass jedes einzelne Leben ein Abenteuer ist. In jedem Leben gibt es eine Möglichkeit zur Flucht, zur Erweiterung, zur Entwicklung, zur Veredelung und zur Überwindung von Hindernissen, die unverrückbar scheinen.“ — Anaïs Nin
Ich wünsche mir für jede Frau eine Matte. Ich wünsche mir für jede Frau einen Übungsraum. Einen Mikrokosmos. Wenigstens für eine Stunde jeden Freitag. Farbe egal. Größe unwichtig. Marke egal. Hauptsache eine eigene Matte für jede Frau.
Wenn du dir vorstellen kannst diese kleine und wenig glamouröse Yoga-Initiative in „rural-Muhanga“ zu unterstützen – dann schick mir doch bitte Finanzen. Eine sehr basale Matte (China-Import) kostet in Kigali 10 000 RWF. Das sind 10 €uro. Jeden Freitag machen an die 40 Frauen Yoga. Ich selbst besitze 4 Matten hier, die ich seit September zur Verfügung stelle und zuhause ohne Matte auf Decken und im Garten Yoga übe. Und siehe da – es geht sehr gut.
Meine IBAN NUMMER, Konto von Eva, ist wie folgt: DE13 3506 0190 3609 5170 17 Bitte vermerke im Verwendungszweck: Yogainitiative Muhanga 2023 Ich persönlich kaufe die Matten ein (am liebsten ganz bald) und achte auf korrekte Verwendung und Instandhaltung. Ich halte dich auf dem Laufenden. Ich hoffe auf die Kraft des eigenen Raums, das eigene Zimmer, in dem Kreativität, der „eigene Business“ gefunden und entfaltet werden kann. In Verbundenheit Liebe um die halbe Welt eure Eva*
MENSTRUAL HEALTH WORKSHOP Ende Januar:
Mit genau diesen Frauen planen eine Freundin und ich Ende Januar einen „Menstrual Health“-Kurs – in dem u.a. darum geht, hygienisch, liebevoll, schlau mit dem eigenen Frau-Sein umzugehen – eigene Binden zu nähen, diese vielleicht sogar an Freundinnen zu verschenken, sie immer wieder gut gut zu waschen, ganz durchtrocknen zu lassen – und mehr Sensibilität mit der eigenen Sexualität und dem eigenen Körper zu entwickeln.
Ruth hat viel Erfahrung und schon viele Workshops bei NäherInnen und Frauen in Uganda gehalten – und bringt ihre Expertise und Frauennähe, ihren ganzen Frieden mitsamt ihrer Schönheit nach Muhanga. Sie ist selber Ärztin und Hebamme, sie ist Mutter von 3 Jungs.
Wenn die Mattenkosten gedeckt sind - würde ich die darüberhinausgehenden Spenden für die Materialkosten dieses Workshops verwenden.
Virginia Woolf meets Africa, liebe Eva sie wäre stolz auf dich!!! Und gleichzeitig fände sie es ganz natürlich, den Frauen diesen Raum einzugestehen…
Aber wie gesagt, diese Frauen sind es (noch) nicht gewöhnt. Ich bin begeistert von deinem Einsatz& deiner LIEBE..weiter so!!! Das Coole ist, dass ich demnächst etwas spenden wollte- jetzt weiss ich wofür😍 Alles Liebe euch ALLEN❤️❤️❤️❤️